"Ecosystems are love stories. Our most profound ways to relate and to feel, to exchange and to be touched, are ecological forms of gifting life, of loving."
Diese einleitenden Worte zum Kurs "Ecology of Love" (Ökologie der Liebe) von Adavaya mit Andreas Weber haben mich sofort berührt. Ich habe an diesem 6-wöchigen Kurs teilgenommen und möchte die wichtigsten Gedanken jeder Woche hier in dieser Artikel-Serie mit dir teilen.
Die folgenden Textteile sind gesprochene Worte aus Andreas Webers Vorträgen [im Original Englisch, hier ins Deutsche übersetzt]. Da ich es liebe mit Collagen zu arbeiten, habe ich seine Worte ebenso zusammengefügt, dass sie die wichtigsten Punkte darstellen, die bei mir Resonanz fanden.
Teil 1: A Cosmos of Mutual Attraction, Andreas Weber (16.11.2022)
Betrachte dich als Teil eines ökologischen Netzwerks
Ich habe einen Abschluss in Meeresbiologie. Ich bin darauf trainiert, die Welt nur von einem äußeren Standpunkt aus zu betrachten. Wenn du das tust, siehst du nur Objekte, weil du alles als Objekte definierst. Aber so funktionieren wir nicht. So funktioniert unser Körper nicht, unser Körper funktioniert ganz anders. Die Art und Weise, wie wir erleben, ist letztlich die Art und Weise, wie unser Körper sich selbst sieht, von innen heraus. Das ist eine zutiefst ökologische Erfahrung. Und ich denke, dass diese Erfahrung mehr repräsentiert werden muss.
Ich betrachte Ökologie aus der Ich-Perspektive, ich betrachte mich als Teil des Ökosystems, als Teil eines ökologischen Netzwerks, als Teil eines Austauschs.
Das ist die Leitidee, um zu verstehen, was ich tue. Es geht um diese Zweiseitigkeit der Welt als Körper und Materie und um eine Welt der tiefen inneren subjektiven Erfahrung. Das Geheimnis liegt eigentlich in uns selbst, da wir beides irgendwie miteinander verbinden.
Das Leben als Praxis und die Liebe als Praxis sind im Kern zutiefst miteinander verbunden
Wir können dieses intensive emotionale Verbindung als eine ökologische Kraft oder als eine Kraft des Lebens verstehen. Liebe könnte sogar als die Aktivität und die Erfahrung des lebendigen Seins betrachtet werden.
Das Leben als Praxis und die Liebe als Praxis sind im Kern zutiefst miteinander verbunden. Und wie ihr alle wisst, macht unsere Zivilisation diese Verbindung nicht. Der Mainstream trennt normalerweise das Leben als etwas, das irgendwie kausal, mechanisch, algorithmisch, technisch zwischen den Dingen abläuft, und die Liebe als eine zutiefst subjektive, vielleicht soziologische, psychologische Wahl der Freiheit, die es nur bei Menschen gibt. Es ist wirklich an der Zeit, dies zu überdenken!
Liebe ist ein produktives Gleichgewicht zwischen einem Individuum und dem Ganzen
Ich werde euch einige kurze vorläufige Definitionen geben. Ich werde euch nie eine endgültige Definition geben, weil ich sie noch nicht habe:
Liebe ist ein Prinzip eines großen, erfüllenden und produktives Gleichgewichts zwischen einem Individuum und dem Ganzen. Bei der Liebe geht es vor allem darum, zu erfahren, wie wir in Beziehung zu etwas stehen, das uns einnimmt, das uns umschließt, das zum Teil wir selbst und zum Teil etwas anderes ist. Und das ist wiederum Ökologie.
Ich versuche, die materielle Welt gleichzeitig als Erfahrungswelt und als Innenwelt zu verstehen, als eine Welt voller Subjektivität, Unsterblichkeit und Emotionen. Alles, was als Ding, als Objekt betrachtet wird, hat eine andere Seite, hat eine Erfahrungsseite, hat ein Inneres, in dem es eine Form der Erfahrung ist.
Wir sind Körper, wir sind Materie, mit einer inneren Dimension. In dem Sinne, dass ich die kleinste Berührung oder die kleinste Art, von einem anderen Körper berührt zu werden, als eine tiefe Einsicht in meine Existenz empfinde, die ich mit anderen Körpern teile.
Physik als erotische Beziehung zwischen Körpern
Als Wesen auf der Erde zu leben, ist eine tiefgreifende Erfahrung der gegenseitigen Anziehung. Wir wissen es nicht wirklich zu schätzen, weil es so absolut normal ist. Wir nennen es Schwerkraft, oder die Wissenschaft nennt es Schwerkraft. Es ist also eine Art physikalisches Gesetz. Aber ich würde sagen - und das ist meine Idee, die Welt mit anderen Augen zu sehen - es ist eine Anziehung. Es ist eine erotische Beziehung, die sich zwischen Körpern abspielt.
Ich erinnere mich noch gut daran, dass die Erfahrung dieser materiellen Berührung, das Zusammentreffen meiner Materie mit jener Materie, mir ein so unglaublich wohltuendes Gefühl gab. Meine Materie war so glücklich darüber, von Materie gehalten zu werden.
Wir leben in einer Welt, die ihren Lauf nimmt, weil eine tiefe Anziehungskraft im Spiel ist. Wir wissen etwas über Physik, weil wir physische Körper haben. Jedes Molekül ist das Ergebnis der Anziehung zwischen Atomen. Verschiedene molekulare Atomwesen werden von anderen angezogen.
Wir können die faszinierende Welt der Beziehungen, der erotischen Bindungen sehen, wenn wir Wasser betrachten. Jedes Wasser besteht aus einem Sauerstoffatom und zwei Wasserstoffatomen: H2O. Sie verlieben sich ineinander und sind dann ein Leben lang verheiratet. Sie gehen eine wirklich, wirklich, wirklich starke Bindung ein. Aber andererseits geht das Sauerstoffmolekül im Wasser auch irgendwie leichtere Bindungen mit anderen Wasserstoffmolekülen in der Umgebung ein, so dass sie leicht polyamorös sind. Ich würde sagen, Wasser schwankt leicht zwischen Monogamie und Polyamorie.
Das Potenzial von Wasser hat damit zu tun, dass Wasser unglaublich bindungswillig ist, bereit, Beziehungen einzugehen. Wir können diese interessante Tendenz beobachten, dieses Verlangen, ein verbindendes Gewebe aufzubauen, eine Gemeinschaft zu bilden, irgendwie zusammenzuhalten und sich dann wieder zu trennen.
Also die Bereitschaft, sich zu binden und dann promiskuitiv zu sein, diese Kreise des Zusammenlebens aufzubauen und dann wieder aufzubrechen und wegzugehen, zu verblassen, abzusterben. Und das prägt unsere Welt, weil sich die gegenseitigen Anteile durch die Verbindung immer wieder verändern.
Wenn du dich also verliebst, verändert deine Liebesbeziehung dich und du veränderst deinen Partner durch deine Beziehung. Und wenn es sich um eine lebensbejahende Beziehung handelt, werdet ihr beide auf lebensbejahende Weise verändert, und das ist es, was wir im physischen Universum sehen.
Wir sehen also, wie Sauerstoff und Wasserstoff diese verrückte Affäre haben und Wasser erschaffen. Und Wasser schafft Leben, Wasser macht so viele andere Dinge möglich.
Water in the landscape as a sort of erotic exchange
If you follow water in the landscape, if you see water in rivers, and in rivulets, in creeks, in the ocean: you see how it shapes stone, how it shapes the earth, how it shapes land. Water meeting the stone, you see it's very simple.
Water in the mountains: it actually rains down on the mountains, on stone, on rock, and then it somehow finds its way in the depressions and it flows down. And by this over the millions of years creates the shape of the mountains and the valleys. So already there we have a sort of erotic exchange, transforming both poles, both players, into something else.
If we look at rivers, we see that the water shapes the stones into something which looks very much like water. These pebbles are so beautifully shaped and round, that they become round and smooth, like water because they are in touch with water.
Wasser in der Landschaft als eine Art erotischer Austausch
Wenn man dem Wasser in der Landschaft folgt, wenn man das Wasser in Flüssen, in Bächen, in Bächen, im Meer beobachtet, dann sieht man, wie es den Stein formt, wie es die Erde formt, wie es das Land formt. Wasser, das auf den Stein trifft, das ist ganz einfach.
Wasser in den Bergen: es regnet auf die Berge, auf Stein, auf Fels, und dann findet es irgendwie seinen Weg in die Vertiefungen und fließt abwärts. So entstehen im Laufe der Jahrmillionen die Formen der Berge und Täler. Da haben wir also schon eine Art erotischen Austausch, der beide Pole, beide Akteure, in etwas anderes verwandelt.
Wenn wir uns Flüsse anschauen, sehen wir, dass das Wasser die Steine zu etwas formt, das dem Wasser sehr ähnlich sieht. Die Kieselsteine werden rund und glatt, wie Wasser, weil sie mit Wasser in Berührung sind.
Es ist eine Art Identitätswechsel, denn wenn man sich anschaut, wie Wasser über Stein fließt, ist es nicht mehr glatt, es wird kabbelig, es wird zerklüftet, es beginnt zu spritzen, es wird laut. Es nimmt die Form von Stein an. In gewisser Weise ist es also dieser Prozess, dieser sehr, sehr einfache Prozess des Zusammentreffens zweier verschiedener Elemente, der dazu führt, dass ein Element etwas über das andere weiß.
Das erotische Begehren ist ein Weg, mich selbst zu erkennen, und es ist ein Weg, andere zu erkennen.
Schau dir an, was Wasser auf der Erde bewirkt, wie sehr die Anwesenheit von Wasser alles verändert. Die Atmosphäre besteht aus Wasser und die Ozeane sind Wasser, und ohne die Ozeane gäbe es kein Leben.
The tides of the ocean, another form of profound erotic attraction
Looking at the interaction between the Earth and the other celestial bodies, mainly the moon: the marine tides design the whole coastal landscapes of the oceans. This is it's another form of profound erotic attraction
So the tides are a way how our planet is somehow trying to embrace the moon. You see, the two Gods trying to embrace one another and all this because of this profound erotic presence of water.
Why do we love the ocean? Because you are water experiencing water. If you look at something, you can never see your eye, you can only see what you're looking at. If I swim in the ocean, I can see the eye with which I see. I am water and I can understand water.
Die Gezeiten des Ozeans, eine weitere Form der tiefgreifenden erotischen Anziehung
Betrachtet man die Wechselwirkung zwischen der Erde und den anderen Himmelskörpern, vor allem dem Mond, so stellt man fest, dass die Meeresgezeiten die gesamten Küstenlandschaften der Ozeane gestalten. Dies ist eine weitere Form der tiefgreifenden erotischen Anziehung
Die Gezeiten sind also eine Art und Weise, wie unser Planet versucht, den Mond irgendwie zu umarmen. Siehst du, die beiden Götter versuchen, sich gegenseitig zu umarmen, und das alles wegen dieser tief erotischen Präsenz des Wassers.
Warum lieben wir den Ozean? Weil du Wasser bist, das Wasser erfährt. Wenn man etwas anschaut, kann man nie sein eigenes Auge sehen, man sieht nur das, was man anschaut. Wenn ich im Ozean schwimme, kann ich das Auge sehen, mit dem ich sehe. Ich bin Wasser und ich kann Wasser verstehen.
Der Ozean kann auch etwas erleben, was er nicht erleben könnte, wenn ich nicht da wäre. Der Ozean kann sich also als in einen winzigen Raum eingeschlossen erleben, eingeschlossen in eine Individuum, das selbständig handeln kann. Und auch das ist eine unglaubliche Bereicherung.
Wenn ich also im Ozean schwimme, bin ich auch der Ozean, der erfährt, was es heißt, ein lebendiger Akteur zu sein, der auf einen bestimmten Raum beschränkt ist. Ich bin auch der Ozean, der erfährt, was es heißt, lebendig zu sein. Ist das nicht absolut fantastisch?
Wenn du eine Träne weinst, schmeckst du auf deiner Zunge das Meer, aus dem das Leben entstanden ist. Das ist die Reichweite unserer Erfahrung. Und das ist gleichzeitig die Auflösung unserer Erfahrung.
Meine Zusammenfassungen der anderen Teile dieses Online-Kurses werden demnächst veröffentlicht.
Verbinde dich mit deiner äußeren und inneren Natur bei einem meiner Events und Retreats oder tauche in einer 1:1 Begleitung tiefer.
Über Andreas Weber:
Dr. Andreas Weber ist Philosoph, Biologe und Schriftsteller. Er hat einen Abschluss in Meeresbiologie und Kulturwissenschaften und hat mit dem Hirnforscher und Philosophen Francisco Varela zusammengearbeitet.
Weber schreibt regelmäßig für große Zeitungen und Zeitschriften, wie National Geographic, GEO und Die Zeit, und wurde für seine Texte mehrfach ausgezeichnet. Er lehrt Philosophie an der Leuphana Universität Lüneburg und an der Universität der Künste Berlin. Weber hat eine Frau und zwei Kinder. Er lebt in Berlin und Italien.
Andreas Webers Arbeit konzentriert sich auf eine Neubewertung unseres Verständnisses des Lebendigen. Er schlägt vor, Organismen als Subjekte und damit die Biosphäre als eine sinnstiftende und poetische Realität zu verstehen.
Er hat mehrere Bücher geschrieben, darunter:"Biopoetik: Über die Natur des Lebens" (2012), "Alles fühlt: Mensch, Natur und die Revolution der Lebenswissenschaften" (2014), "Enlivenment: Eine Kultur des Lebens" (2016), "Die beseelte Gesellschaft: Über das Zusammenleben von Mensch, Tier und Natur" (2018), "Indigene Moderne: Über Nachhaltigkeit, Kultur und Spiritualität" (2019).
Weiterführende Lektüre & Ressourcen (auf Englisch):
Book Excerpt: Matter & Desire: An Erotic Ecology, by Andreas Weber: Chapter 2 - Desire
Book Excerpt: Sharing Life: The Ecopolitics of Reciprocity, by Andreas Weber: Chapter 8 - 'Rules for Behaving Well in the Society of Being'
Paper: 'Deep Physics', by Andreas Weber
Article: How To Train Your Mind To Recognize the Love All Around You, by Sharon Salzberg (OnBeing)
Article: The Pattern that Connects: Gregory Bateson and the Ecology of Mind, The Journal of Wild Culture
Audio: Schumacher Talk 2017 - Matter as Myself, by Andreas Weber
Article: The Poetics of Ecology: A conversation with Andreas Weber, by Hannah Close (The Dark Mountain Project)
Video: Matter and Desire with Andreas Weber, Talk at Wake Forest University
Audio: Bahnson seminar talk Wake Forest University
Video: Andreas Weber: Ecosystems as Love Processes, The Beshara Lecture 2019.
Film: Tawai: A Voice from the Forest, by Bruce Parry
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